Abschlussbericht des Projekts RE:GAIN
Ein Projekt von Violence Prevention Network Digital
Der öffentliche Diskurs rund um das Thema Gaming und Rechtsextremismus scheint häufig den Eindruck zu vermitteln, dass Gaming-Communitys per se extremistisch und antidemokratisch eingestellt sind oder dort zu Gewalt aufgerufen wird und somit als Ganzes problematisiert werden müssen (vgl. Schlegel/von Eyb 2024). Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch ein diverseres Bild. Eine differenzierte Betrachtung des Zusammenhangs von Gaming-Communitys und Rechtsextremismus ist notwendig, um der Komplexität und Vielfalt des digitalen Raums gerecht zu werden und Stereotypisierung zu vermeiden. Während rechtsextreme Akteur*innen tatsächlich Gaming-Plattformen und -Communitys nutzen, um ihre Botschaften zu verbreiten und Nachwuchs zu rekrutieren, kann dies nicht auf die gesamte Community übertragen werden.
Dass Gaming längst kein Nischenphänomen mehr ist, sondern sich zu einem zentralen Bestandteil der modernen Unterhaltungslandschaft entwickelt hat, wird besonders durch die Marktzahlen, die vielfältige Spieler*innengemeinschaft und die allgegenwärtige Präsenz von Videospielen in diversen Lebensbereichen deutlich. So wurde der globale Gaming-Markt 2022 von Fortune Business Insights (2024) auf 249,55 Milliarden US-Dollar geschätzt und mit Prognosen versehen, die in den kommenden Jahren ein weiteres Wachstum vorhersagen. Besonders unter jungen Menschen zählen digitale Spiele vermehrt zu einem festen Bestandteil ihrer (Online-)Lebenswelt. Laut der aktuellen JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbandes Südwest spielen 76% der Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren regelmäßig digitale Spiele (vgl. Feierabend et al. 2022, S.49). Somit setzt sich der Anstieg jugendlicher Gamer*innen wie in den vorherigen Jahren (2021 72%, 2020 68%, 2019 63%) weiterhin fort (vgl. ebd.).
Auch die Projekterfahrungen von RE:GAIN von Februar 2023 bis Januar 2024 stellen der Stereotypisierung von Gaming-Communitys ein tiefergehendes Monitoring gegenüber, das den differenzierten Charakter dieser digitalen Räume verdeutlicht. Im Projektverlauf wurde das Potenzial von Gaming-Plattformen als Orte politischer Meinungsbildung untersucht und insbesondere die Präsenz und Verbreitung rechtsextremer Inhalte betrachtet. Hierzu wurden im ersten Schritt Plattformen mit Gaming-Bezug von den Projektmitarbeiter*innen hinsichtlich rechtsextremer Inhalte durchleuchtet und Beiträge dokumentiert. Ein weiterer Fokus lag im weiteren Projektverlauf auf der Interaktion mit User*innen. So wurden auf den fünf ausgewählten Plattformen YouTube, Reddit, Steam, GameStar Forum und PC Games Forum im Erhebungszeitraum in 63 Kommentarsträngen mitdiskutiert und 43 eigene Diskussions-Beiträge verfasst. Zusätzlich erstellte das Projekt 43 Social-Media-Content-Beiträge mit Gaming-Bezug die sich bspw. mit dem Zusammenhang zwischen Gaming, Rechtsextremismus, Misogynie und Rassismus auseinandersetzten. Diese Beiträge wurden sowohl auf Instagram als auch auf TikTok veröffentlicht. Ausgehend von der Frage, wie politische Meinungsbildung in digitalen Gaming-Räumen funktioniert und welche spezifischen Herausforderungen und Potenziale diese Umgebungen bieten, stellt der Bericht die sich aus dem Monitoring ergebenden Projektergebnisse vor und untersucht Plattformen mit Gaming-Bezug – darunter Steam, GameStar, Reddit und YouTube – auf ihre strukturellen und dynamischen Eigenschaften.
Diese Plattformen zeichnen sich durch spezifische Formen der Interaktion, Moderation und Nutzungsintensität aus, die jeweils unterschiedliche Effekte auf die politische Meinungsbildung und die Verbreitung von extremistischen Inhalten haben. Die Beobachtungen des Projektes weisen darauf hin, dass Plattformen mit geringer Moderationsdichte, wie etwa Steam, Räume bieten können, in denen rechtsextreme Akteur*innen ohne nennenswerte Einschränkungen agieren und sich vernetzen. Im Gegensatz dazu zeigen sich Plattformen wie das GameStar Forum, die von einer stärkeren Moderation geprägt sind, als Orte mit regulierter Diskussionskultur, die teils dezidiert zu einem demokratischen Austausch beitragen und extremistische Äußerungen begrenzen können. Neben der Betrachtung der strukturellen Aspekte von Plattformen widmet sich der Bericht auch der Frage, inwieweit die parasozialen Beziehungen zwischen Gaming-Influencer*innen und ihren Anhänger*innen zur Verbreitung politischer Meinungen beitragen können und hebt hervor, dass politische Meinungsbildung in Gaming-Communitys nicht nur durch explizite politische Diskussionen beeinflusst wird, sondern auch durch subtile Inhalte wie Memes, Spielegestaltungen und algorithmisch gesteuerte Inhalte. Vor diesem Hintergrund widmet sich die Publikation auch der Rolle algorithmischer Inhalte auf Social Media-Plattformen, die durch Empfehlungsmechanismen und Filterfunktionen oft selektiv Inhalte an Nutzer*innen ausspielen und so die Reichweite bestimmter Narrative gezielt verstärken können.
Als Ergebnis des Projektvorhabens werden im Anschluss Handlungsempfehlungen formuliert, die darauf abzielen, pädagogische bzw. sozialarbeiterische Fachkräfte für die Herausforderungen und Chancen der politischen Meinungsbildung in Gaming-Communitys zu sensibilisieren und mögliche Ansatzpunkte für Präventionsprojekte zu bieten.
Den vollständigen Bericht können Sie hier downloaden. Weitere spannende Beiträge und Publikationen aus dem Projekt RE:GAIN finden Sie hier.
