Tag der Freiheit und Tag des Friedens - das klingt schön, nicht wahr? Wie etwas, dem unumwunden zustimmen kann, wer nicht bösen Willens ist. So nannte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) ihre Reichsparteitage 1935 und 1939. Letzterer musste ins Wasser fallen, weil doch die Lüge zu offensichtlich gewesen wäre, nachdem die deutsche Wehrmacht am 1. September in Polen einmarschiert war. Andere Reichsparteitage hießen etwa Reichsparteitag des Sieges (1933) und, bekannt durch Leni Riefenstahls gleichnamige filmische Inszenierung, Reichsparteitag Triumph des Willens (1934). Der Tag der Freiheit vom 10. bis 16. September 1935 erlangte einige Bedeutung, weil die Nationalsozialisten mit ihm unmissverständlich deutlich machten, welche Freiheit sie meinten. Auf diesem Reichsparteitag wurden die Nürnberger Gesetze verabschiedet, u. a. das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre.
Von einem inneren Reichsparteitag sprach der Volksmund, wo jemand Anlass zum Jubeln hatte, diese Emotionalität aber, die doch ein Ausdruck von Individualität wäre, das Gesamtbild und den schönen Schein stören würde.
So wurden Freude und Glück sorgsam im Innern verschlossen, um bloß nicht aufzufallen. Zugleich will die Wortwahl vom inneren Reichsparteitag um die Falschheit dieser Gefühle wissen. Sie sind bloß Ergebnis einer sorgfältigen Inszenierung. Ein innerer Reichsparteitag wird gefeiert, wenn sich ein lang verfolgtes Ziel erfüllt, auf das mühsam hingearbeitet wird. Dass sich dieses Ziel nicht gleichsam schicksalhaft erfüllt, sondern eben Ergebnis von Mühsal und Arbeit hinter den Kulissen ist, das möchte der innere Reichsparteitag vor allen verborgen halten. Ihm ist das Verfolgen von Partikularinteressen ein Gräuel. Und so spricht die Rede vom inneren Reichsparteitag von der emotionalen Gleichschaltung jedes Einzelnen.
Während der Begegnung der Nationalmannschaften Deutschlands und Australiens sprach die Reporterin des Zweiten Deutschen Fernsehens über Miroslav Kloses Treffer. Dieses Tor müsse ihm ein innerer Reichsparteitag gewesen sein, so Katrin Müller-Hohenstein am Rande einer Begegnung, die ohnehin nationale Gefühle nicht nur bei unserer Klientel aufrührt. ZDF-Reporterin Katrin Müller-Hohenstein bestätigte während der Fußball-Weltmeisterschaft live all das, was unser Klientel sich an Rechtfertigungen für seine Gewalttaten zurechtlegt. Sie verwendete ja nicht allein eine Vokabel, die unmittelbar auf Hitler zurückzuführen ist,* sondern die vielmehr für ein Menschen- und Gesellschaftsbild steht, das wie kein anderes gewaltförmig ist. Es ist ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das unmittelbar in das millionenfache Morden der Nationalsozialisten mündete. Und das darüber hinaus bis heute im Begründungszusammenhang steht, wo rechtsextreme Gewalttäter im Namen der Volksgemeinschaft sich ermächtigt sehen zu morden.
Violence Prevention Network arbeitet seit über fünfzehn Jahren (Stand: 2018) mit jungen Männern, die schwerste Gewaltstraftaten begangen haben. Mord, Totschlag, schwerste Körperverletzungen. Die Taten der jungen Männer, mit denen sich Violence Prevention Network befasst, wurden aus rechtsextremen Motiven begangen. Sie sehen sich selbst als politische Soldaten und, wenn sie ins Gefängnis kommen, als Prisoners of War, als Kriegsgefangene, die vom System dafür in den Knast gesteckt werden, dass sie die Volksgemeinschaft vor “Juden“, „Zecken“, „Negern“ oder „Asozialen“ beschützt haben so wie der Reichsparteitag der Freiheit 1935 das deutsche Blut zu schützen trachtete. Es ist der zentrale Aspekt unserer Arbeit, die emotionale Gleichschaltung die Verrohung und die Gleichgültigkeit zu durchbrechen, für die der Ausdruck innerer Reichsparteitag wie kein anderer Pate steht. Dass die jungen Männer als Individuum verantwortlich sind für ungeheures Leid, das sie ihren Opfern zufügen; dass sie sich nicht hinter inneren Reichsparteitagen verstecken können, das zu vermitteln gehört zu den Aufgaben unserer Trainerinnen und Trainer.
*Vgl. Max Domarus: Hitler. Reden 1932 bis 1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen. Bd. 2: 1935 1938. Leonberg(4) 1988. S. 523.
Jan Buschbom, Violence Prevention Network (2010)