Von Sebastian Ehlers
Dieser Aufsatz erschien zuerst in: Ligante – Fachdebatten aus der Präventionsarbeit, Ausgabe #1: „Herausforderungen online & jenseits des Salafismus“
Onlinekommunikation und soziale Medien sind für die Verbreitung von ideologischer Propaganda extremistischer Gruppierungen von wachsender Bedeutung. Das sich rasant ändernde Kommunikationsverhalten von Jugendlichen stellt die praktische Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung vor immer neue Herausforderungen. Jugendliche sind heute an den schnellen und unmittelbaren Zugang zu Informationen gewöhnt, sie leben mit und in parallelen Lebensprozessen, kommunizieren verstärkt in Bildern und sind 24/7 online. Das hat auch Konsequenzen für die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit: Wie können Kommunikationsangebote zivilgesellschaftlicher Träger mit begrenzten Ressourcen und erkennbarer Urheberschaft Schritt halten mit Angeboten aus einem extremistischen Umfeld, die rund um die Uhr erreichbar sind und eine entsprechend hohe Response-Rate aufweisen?
So wie die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets vielfältige Chancen zur Kontaktaufnahme mit radikalisierungsgefährdeten oder bereits radikalisierten Jugendlichen bieten, so sind die Strukturen der sozialen Netzwerke auch Teil des Problems: Tritt man einem Menschen persönlich gegenüber, wirken sämtliche Aspekte der verbalen und nonverbalen Kommunikation und bilden die Grundlage für ein vertrauensvolles Gespräch. In der Onlinekommunikation ist es deutlich schwieriger, einen Kontakt aufzubauen und zu pflegen. Schnelllebigkeit und vermeintliche Anonymität des Mediums führen dazu, dass es angesprochenen Personen sehr leichtfällt, die Kommunikation abzubrechen und gegebenenfalls dauerhaft zu blocken. Es ist eine große Herausforderung, den angesprochenen Personen auf digitalem Wege die Authentizität und Persönlichkeit zu bieten, die für den Aufbau und die Festigung einer Vertrauensbeziehung erforderlich sind.
Um den Kommunikationsgewohnheiten der Zielgruppe zu entsprechen, muss auf Trägerseite sehr flexibel und schnell agiert werden. Dies ist oftmals kaum mit den Rahmenbedingungen und Regelungen vereinbar, innerhalb derer staatliche und nicht-staatliche Organisationen und Initiativen der Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung agieren. Zudem sind Form und Inhalt der Kommunikation wie auch die Geschwindigkeit des kommunikativen Wandels für alle, die nicht innerhalb dieser sich ändernden Kommunikationsstrukturen agieren, kaum nachvollziehbar. Der Altersunterschied zu den Klient*innen kann in diesem Zusammenhang schnell zu einem Problem werden und macht einmal mehr die Notwendigkeit der Einbindung von Vertreter*innen der Peergroup in entsprechende Präventionsansätze deutlich. In der Praxis der Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung kann es nicht darum gehen, sich zwischen Online- und Offlineansätzen zu entscheiden. Vielmehr ist es für den Zugang zur Zielgruppe mit Blick auf das sich ständig ändernde Kommunikations- und Vernetzungsverhalten essenziell, die Onlinekontaktaufnahme als wichtige Ergänzung zur klassischen Face-to-Face-Beziehungsarbeit zu betrachten.
Der Autor: Sebastian Ehlers leitet bei Violence Prevention Network e. V. (VPN) den Bereich Radikalisierungsprävention (Online). Mit dem Ziel, Formate des zielgruppengerechten Zugangs zu radikalisierungsgefährdeten und radikalisierten Jugendlichen aufzubauen, entwickelte er das Onlineteam bei VPN von Grund auf. Er hat nach seinem Jurastudium mehrere Jahre als Produktionsleiter eines mittelständischen Werbetechnikbetriebs gearbeitet, als Head of Marketing WebTV einer international renommierten Filmproduktionsfirma erste Erfahrungen in der Entwicklung neuer Geschäftsfelder gesammelt und war als Head of Marketing Teil des Managementteams eines Venture-Capital-finanzierten Technologie-Start-ups.