Dschinn – Zwischen Glaubensgrundlage und Aberglaube

Dschinn sind bei jungen Muslim*innen ein sehr gefragtes Thema. Nach islamischer Vorstellung handelt es sich dabei um übersinnliche (Geist)-Wesen, die – genauso wie Menschen, Engel und Satane – zur Schöpfung Gottes gehören. Auch wenn der Koran es nicht erwähnt, glauben viele Muslim*innen daran, dass Dschinn Menschen besetzen und diese verrückt machen können.

Ängste schüren durch Instrumentalisierung der Dschinn

Dieser Glaube wird von Accounts und Akteur*innen der Peripherie des religiös begründeten Extremismus instrumentalisiert, um einschüchternde, angstpädagogische, dystopische und einseitige Narrative und Mythen sowie theologische Desinformationen über Dschinn zu verbreiten. Oft wird hierbei Kultur und Religion vermischt und körperliche oder psychische Dispositionen von Menschen werden kurzerhand damit erklärt, die Person sei „von Dschinn besessen“.

In sozialen Netzwerken gibt es „Tipps“, wie sich Muslim*innen vermeintlich vor den Dschinn schützen können. Etwa durch das Einhalten von Pflichtgebeten oder verschiedener Sitten und Gebräuche. Häufig genannt wird dabei die sogenannte Ruqya, eine Form der Heilung durch Bittgebete, die auch für normale Krankheiten und Symptome wie Kopfschmerzen benutzt wird.

„Die Praxis des Koran-Trinkens ist im gesamten Ausbreitungsgebiet des Islam allgegenwärtig. Die häufigste Variante weltweit ist Ruqya, das Rezitieren von Koranversen zu Heilungszwecken. Ruqya ist theologisch universell anerkannt, da an verschiedenen Stellen im Koran davon die Rede ist, dass der Koran als Heilmittel dienen soll. Oft spricht man Ruqya über Wasser, das dann getrunken, versprüht oder ins Waschwasser getan wird.“[1]

In äußersten Fällen kann die Ruqya aber zu – dem Exorzismus ähnlichen – Austreibungsritualen durch Scharlatane führen, die damit Geld verdienen wollen.

Videos über Ruqya sowie Interviews mit ,,Besessenen“ in menschlicher Erscheinungsform kursieren im Netz zuhauf. Die Rezeption dieser Inhalte kann eine bestehende Angst vor Dschinn verstärken und bei psychischen Erkrankungen die Einsicht/Therapie verhindern. Liest man sich z. B. auf der Plattform TikTok Kommentare unter Videos zu Dschinn durch, wird deutlich, welche Rolle sie in der Lebenswelt junger Muslim*innen spielen: angsteinflößende Geschichten und Fragen zur „Besessenheit“ werden mit Vorliebe geteilt.

Dschinn differenziert darstellen

Um das Thema Dschinn differenziert aus verschiedenen Perspektiven darzustellen und für die Zielgruppe(n) relevante Fragen zu ermitteln, hat das Team von Islam-ist über Wochen verschiedene Plattformen zum Thema Dschinn beobachtet. Entsprechende Fragen und Diskussionen sowie die Narrative der Accounts der Peripherie des religiös begründeten Extremismus wurden festgehalten und mit Expert*innen besprochen. Daraus wurde ein Themenkomplex entwickelt, der aus verschiedenen Formaten besteht:

  • Artikel: In einem Basis-Text des Islamwissenschaftlers Martin Zabel auf Islam-ist.de wird auf die Dschinn als Glaubensgrundlage, die Besessenheit und den Aberglauben eingegangen. Historische und religiöse Bezüge werden erläutert.
  • Unterhaltendes Video: Um jungen Menschen, die primäre Zielgruppe, einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema zu ermöglichen, wurde ein Video mit den muslimischen Influencern Usama Elyas und Mirza Odabaşı produziert, in dem sie ihre Dschinn-Storys teilen, aber auch auf wissenschaftliche Einschätzungen in den informativen Videos (s. u.) verweisen.
  • Informative Videos: Der Islamische Theologe Mohammad Gharaibeh erklärt, welche Rolle Dschinn im Islam und in der Lebenswelt von Muslim*innen spielen. Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Basel Allozy erläutert, wie er Personen behandelt, die glauben, von Dschinn besessen zu sein. Diese Inhalte sind auch explizit an Personen der sekundären Zielgruppe – Pädagog*innen, Praktiker*innen, Multiplikator*innen – gerichtet, da das Thema darin sehr umfassend und wissenschaftlich tiefgehend betrachtet wird.

Die verschiedenen Inhalte zum Thema wurden auch auf den Plattformen Instagram, Facebook und YouTube veröffentlicht.

[1] Wilkens, Katharina. Text als Medizin. Ablöschen und Trinken koranischer Verse als therapeutische Praxis. In: Zerstörung von Geschriebenem, S.374. Online: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110629040-014/html