„Und wer soll das verstehen?“ – Wissenstransfer mittels Transferworkshop

Ein Beitrag von Alexander Swidziniewski, Violence Prevention Network

Wissenstransfer ist von zentraler Bedeutung, um aktuelle Forschungserkenntnisse in die entsprechende Fachpraxis zu übertragen und sie in das Handlungsrepertoire zu integrieren. Dies ist neben der Vernetzung aller relevanten Akteur*innen eines der wesentlichen Ziele von RADIS. Da es sich hierbei jedoch um ein herausforderndes Unterfangen handelt, müssen Strategien für eine gewinnbringende Begegnung zwischen Wissenschaftler*innen und Fachpraktiker*innen entwickelt werden.

Der elfte Beitrag dieser Blog-Reihe fokussiert den Transferworkshop als Teil dieser Strategie im Rahmen des Wissenstransfers. Zunächst werden die Herausforderungen für die Prozesse des Wissenstransfers nachgezeichnet, um darauf aufbauend Gelingensbedingungen für einen gewinnbringenden Austausch zwischen Wissenschaftler*innen und Fachpraktiker*innen im Bereich Extremismusprävention und Deradikalisierung zu identifizieren.

Gemeinsame Sprache als Fundament eines gelingenden Austauschs

Der Transferworkshop ist ein beliebtes Veranstaltungsformat, um den Teilnehmer*innen nicht nur gewonnene Forschungsergebnisse zu vermitteln, sondern diese gemeinsam mit ihnen zu reflektieren und Konzepte für die praktische Arbeit zu entwickeln. Dieses Format ist voraussetzungsvoll, da für einen solchen Workshop eine gemeinsame Sprache gefunden werden muss. Der Grund ist, dass sich die Arbeitsrealitäten der Wissenschaftler*innen und Fachpraktiker*innen mitunter stark voneinander unterscheiden können und verschiedene Fachbegriffe verwendet werden. Da Forschungserkenntnisse i. d. R. in Schriftform vorliegen, könnte hier angesetzt werden. Erkenntnisse sollten idealerweise stets mit dem Blick auf die potenzielle Zielgruppe verfasst werden und ihren Blickwinkel einnehmen. Oftmals ist die Fachsprache nicht das Problem, sondern komplizierte Ausdrucksweisen, die einen Text schwer verständlich machen.[1] Um dem entgegenzuwirken, werden Seminare für Wissenschaftler*innen angeboten, in denen sie die Kompetenz erwerben, allgemeinverständlich(er) zu formulieren. Das erleichtert zum einen die Vorbereitung auf einen Transferworkshop, da die Ergebnisse nicht erst „übersetzt“ werden müssen. Zum anderen werden damit kostbare zeitliche Ressourcen der Wissenschaftler*innen geschont. Dies ist vor allem für (anwendungsorientierte) Forschungsprojekte relevant, die in ihrem Forschungsdesign zwar keine langfristige Kooperation mit der Fachpraxis im Verlauf des Forschungsprozesses vorsehen, aber dennoch – wie im Forschungsantrag vorgesehen – den Anspruch haben, dass die Fachpraxis die wissenschaftlichen Erkenntnisse unmittelbar für sich nutzen kann.

Aufbereitung der Erkenntnisse für den Transferworkshop

Neben der sprachlichen Anpassung an die Adressat*innen ist es im weiteren Verlauf hilfreich, sich auf die Forschungsergebnisse zu konzentrieren, die für die Teilnehmer*innen des Transferworkshops am relevantesten sind. Das erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit der Arbeitsrealität der Fachpraktiker*innen und ein Gespür für ihre Bedarfe. Hier können Vorgespräche mit den Fachpraktiker*innen sinnvoll sein. Alle weiteren Forschungsergebnisse sowie kontextuelle Informationen zum Forschungsdesign, zur Theorie und Methodik etc. sollten auf das Minimum reduziert werden. Diese können als zusätzliches Material zur Wissensvertiefung aufbereitet und den Teilnehmer*innen auf Nachfrage zur Verfügung gestellt werden.

Es gilt zudem, die Diskrepanz zwischen den Arbeitsrealitäten zu erkennen. Während Wissenschaftler*innen ihre Erkenntnisse stets in Zweifel ziehen bzw. sich theoretisch-analytisch mit Phänomenbereichen beschäftigen, benötigen die Fachpraktiker*innen Handlungssicherheit in ihrer Tätigkeit.[2] Praktiker*innen arbeiten häufig face-to-face mit Klient*innen und sind mit situativen Einflüssen und deren Komplexität konfrontiert, die Handlungssicherheit und eine psychologische Flexibilität erfordern. Dieser Umstand kann in einem Transferworkshop produktiv genutzt werden, indem die oben genannten Zweifel gemeinsam diskutiert werden. Hier können die wertvollen Praxiserfahrungen durch die wissenschaftlichen Hypothesen ggf. gestützt und auf dieser Basis konzeptionelle Überlegungen für das praktische Handeln angestellt werden. Die Wissenschaftler*innen hingegen können die für sich gewonnenen Erkenntnisse bspw. für weitere Forschungsanträge nutzen.

Im Transferworkshop sind für die Wissenschaftler*innen vor allem kommunikative Kompetenzen notwendig. Fünf Faktoren sollten berücksichtigt werden, um Erkenntnisse zielorientiert und nachhaltig an die Zielgruppe zu transferieren: (1) Zunächst sollte das Thema möglichst eingegrenzt werden und (2) klar sein, was die Zielgruppe von der Ergebnispräsentation zu erwarten hat. Dabei muss (3) das Kommunikationsziel sorgfältig gewählt werden und (4) das Format bzw. Medium dem Zielpublikum angepasst sein. Schließlich muss (5) der Stil der Präsentation im Einklang mit allen zuvor genannten Faktoren erarbeitet werden.[3] Das bedeutet, dass bereits die Einladung zu einem Transferworkshop für klare Vorstellungen bei den Fachpraktiker*innen sorgen muss und welchen Nutzen sie davon haben. Im Transferworkshop eignet sich eine Mischung aus Präsentation der Ergebnisse und aktiver Konzeptionalisierung zur Nutzbarmachung dieser für die Fachpraxis. Zudem sind interaktive Methoden im Transferworkshop notwendig, die die Fachpraktiker*innen dazu anregen, sich die theoretischen Inputs und Inhalte reflexiv anzueignen und auf ihre Tätigkeitsbereiche herunterzubrechen.

Co-Creation als Garant für Synergieentwicklung

Wenn diese Überlegungen und Handlungsempfehlungen für Wissenschaftler*innen nicht umgesetzt werden, kann es passieren, dass Ergebnisse aufbereitet werden, die für das Zielpublikum uninteressant oder unverständlich sind und aus denen sich keine Handlungsimpulse ergeben. Dies gilt es zu vermeiden, um nicht den gelegentlichen Vorbehalt zu bekräftigen, dass Wissenschaftler*innen aus dem sogenannten Elfenbeinturm und fern der Fachpraxis kommunizieren würden.[4] Diese Perspektive übersieht jedoch den Umstand, dass Wissenschaftler*innen innerhalb eines Systems arbeiten, das ihnen in kurzer Zeit vieles abverlangt. Wenn der Wissenstransfer nicht ausdrücklich im Projekt vorgesehen und ausformuliert wird und entsprechend Arbeitsstunden für die Koordination der Transferworkshops berücksichtigt sind, findet dieser nicht die notwendige Beachtung. Langfristig leidet darunter ein gewinnbringender Austausch. Mit den genannten Überlegungen kann jedoch auch bei knappen Ressourcen ein gutes Format entwickelt werden.

Idealerweise geht dem Forschungsprozess eine Analyse der Bedarfe der entsprechenden Fachpraxis voraus, die die Grundlage für die Eingrenzung und Aufbereitung der Forschungsergebnisse legt. Bestenfalls geschieht die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis von Anfang im Rahmen eines Co-Creation-Prozesses[5]. Ein nachhaltiger Wissenstransfer innerhalb der Projektlaufzeit ist dann gegeben, wenn neben der erwähnten steten Aufbereitung und Übersetzung der Forschungsergebnisse, Personen ausgemacht und gefördert werden, die die Kommunikation in die Fachpraxis leisten.[6] Im zweiten Beitrag dieser Blog-Reihe wurden Wege und Empfehlungen für eine gelingende Wissenschafts-Praxis-Kooperation auf Augenhöhe bei der Realisierung praxisrelevanter Forschung beschrieben. Für die Umsetzung dieses best practice-Modells braucht es die Bereitstellung finanzieller Ressourcen.

Fazit und Ausblick

Der Wissenstransfer ist ein wichtiger Bestandteil der Wissenschaft, der allerdings aufgrund struktureller Rahmenbedingungen selten sein volles Potenzial entfalten kann. Dennoch kann auch mit weniger Ressourcen und nicht allzu zeitintensiven Anstrengungen, wie der verständlicheren Sprache und Eingrenzung der Forschungsergebnisse sowie der Abstimmung auf die fachpraktischen Bedarfe, das Format des Transferworkshops berücksichtigt werden. Dies ermöglicht einen effektiven Austausch, von dem alle Akteur*innen lernen können. So werden Wissenschaftler*innen ggf. darin bestärkt, ihre Arbeitshypothesen weiterzudenken und diese als Grundlage für einen neuen Projektantrag zu nehmen. Bestenfalls wird hier das Konzept der Co-Creation einbezogen. Fachpraktiker*innen hingegen profitieren, weil sie praxisnah aufbereitete Erkenntnisse bekommen, die sie ggf. direkt in ihren Arbeitsalltag übertragen können.

Quellen:

Brandt-Bohne, Ulrike (25.05.2021): Die zentralen fünf Dimensionen der Wissenschaftskommunikation. URL: https://www.wissenschaftskommunikation.de/die-zentralen-fuenf-dimensionen-der-wissenschaftskommunikation-48385/. (Zuletzt abgerufen am 05.12.2024).

Buysse, Ann; Dewaele, Alexis; Vandael, Kristof (2018): Guide to Co-Creation. Ghent University. URL: https://biblio.ugent.be/publication/8653735. (Zuletzt abgerufen am 05.12.2024).

Hirschmann, Natalie (2022): Zum Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Konzeptidee für einen projektübergreifenden Ansatz in der zivilen Sicherheitsforschung (aus dem Nachwuchsforschungsprojekt „PluS-i“), forum kriminalprävention, 3/2022, S. 9-12. URL: https://www.forum-kriminalpraevention.de/files/1Forum-kriminalpraevention-webseite/pdf/2022-03/PluS-i.pdf. (Zuletzt abgerufen am 05.12.2024).

Schuldt-Baumgart, Nicola; Lux, Alexandra (27.05.2022): Was Wissenstransfer und Wissenschaftskommunikation unterscheidet. URL: https://www.wissenschaftskommunikation.de/was-wissenstransfer-und-wissenschaftskommunikation-unterscheidet-58417/. (Zuletzt abgerufen am 05.12.2024).

Wissenschaftsladen Bonn e. V. (o. J.): Fachwissen kommunizieren – „Kann doch Jeder“ oder „Hohe Kunst“? URL: https://www.wilabonn.de/blog/techniken/978-fachwissen-kommunizieren-kann-doch-jeder-oder-hohe-kunst.html. (Zuletzt abgerufen am 05.12.2024).


[1] vgl. Wissenschaftsladen Bonn e. V. o. J.

[2] vgl. Hirschmann 2022, 11

[3] vgl. Brandt-Bohne 2021

[4] vgl. Hirschmann 2022, 11

[5] vgl. Buysse, Dewaele, Vandael 2018

[6] vgl. Lux, Schuldt-Baumgart 2021

Zum Projekt:

RADIS – Forschung zu den gesellschaftlichen Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa

In der BMBF-Förderbekanntmachung „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“ forschen zwölf Forschungsprojekte zu den vielen Facetten des Phänomenbereichs radikaler Islam: Welche Gründe lassen sich für das Erstarken islamistischer Tendenzen im deutschsprachigen und europäischen Raum identifizieren? Wie wirken islamistische Strömungen auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder die Gesellschaft als Ganzes? Und welche Schlüsse können aus diesen Erkenntnissen für die Arbeit der Präventionspraxis, Politik und Verwaltung, Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Medien gewonnen werden? Diesen und weiteren Fragen gehen Forschende vieler verschiedener Disziplinen aus unterschiedlichsten theoretischen und methodischen Blickwinkeln im Zeitraum von 2020 bis 2025 nach.