Beitrag zur Leitlinienentwicklung der deutschen feministischen Außenpolitik
Von Ariane Wolf, Violence Prevention Network
In den letzten Jahren bekannten sich mehr und mehr Staaten zur Relevanz genderreflektierter Politiken, indem sie sich selbst zu einer feministischen Außenpolitik (FFP) verpflichteten. Deutschland folgt nun dem Beispiel von Schweden, Kanada, Frankreich, Mexiko, Libyen und anderen Staaten in diesem Anliegen. Das ist aus vielen Gründen ein wichtiger Schritt – nicht zuletzt, weil wir aus der Friedens- und Konfliktforschung wissen: Eine diversitätsorientierte Beteiligung an Friedensprozessen stabilisiert Länder nachhaltiger und trägt zur Konfliktprävention bei. Trotz zahlreicher thematischer Anknüpfungspunkte zwischen feministischer Außenpolitik mit dem Einsatz gegen extremistische Gruppierungen und Einstellungen findet der Themenkomplex in bisherigen Strategien wenig Beachtung. Hier besteht dringender Aufholbedarf, denn eine feministisch reflektierte Extremismusprävention könnte ein sinnvoller Baustein feministischer Außenpolitik sein.
Was hat feministische Außenpolitik mit Extremismusprävention zu tun?
„Eine feministische Außenpolitik setzt sich gegen diskriminierende, menschenfeindliche Ideologien ein“. Hierbei stellt sie sich systematisch „jeder Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ 1 entgegen, schreibt das zivilgesellschaftliche Bündnis 1325, welches seit Jahren Expertise zur Agenda Frauen, Frieden, Sicherheit bündelt. Eben dieser Einsatz gegen jegliche Ideologie der Ungleichwertigkeit ist auch Kernaufgabe der Extremismusprävention.
Rechtsextremistische, Islamistische und andere extremistische Gruppierungen stützen sich auf Ideologien der Ausgrenzung und Abwertung. Die Unterscheidung zwischen einem vermeintlich überlegenem „wir“ von einem unterlegenen „ihr“ sind hierbei Fundament eines überlegenen
Weltbildes, dessen Durchsetzung Legitimationsgrundlage für Gewalt werden kann. Dabei verkörpert das „wir“ die „richtige“ Ideologie, Art zu leben und mehr – es bildet eine nach außen abgegrenzte und nach innen geschlossene, meist völkisch oder religiös definierte Gemeinschaft.2 Extremismusforscher*innen sind sich einig, dass diese Abgrenzung einer Gruppe nach außen sowie die Entwicklung gemeinsamer Feindbilder und Überlegenheitsnarrative zentral für Identität und Zusammenhalt extremistischer Gruppen sind.
Misogynie und die Ablehnung von sich verändernden Geschlechterverhältnissen in Form von Antifeminismus und Queerfeindlichkeit sind hierbei ein wiederkehrendes, aber unterschätztes, ideologisches Element extremistischer Welt- und Feindbilder.3 Rechtsextreme Täter wie jene in Halle, Christchurch und Utøya postulierten in ihren Manifesten Hass auf Feminist*innen und selbstbestimmt lebende Frauen und sehen Feminismus als Grundübel, welches sie für sinkende
Geburtenraten und somit den Niedergang des weißen „Volkes“ verantwortlich machen. Die Täter nehmen aufeinander Bezug, teilen antifeministische Hetze online. Der geteilte Hass auf Feminist*innen und andere Repräsentant*innen einer sich ändernden Geschlechterordnung findet sich in zahlreichen extremistischen Einstellungen und kann sich, wie im Falle misogyner Incels4, einer Online-Subkultur aus der mehrere terroristische Anschläge hervorgegangen sind, auch zu einem eigenständigen, geschlossenen Weltbild verdichten.
Aktuelle Studien eröffnen noch weitere Schnittstellen zwischen Misogynie und Extremismus. Beispielsweise hat die australische Forscherin Melissa Johnston in Libyen, Bangladesch, Indonesien und den Philippinen untersucht, welche Merkmale und Einstellungen am häufigsten unter Unterstützer*innen von gewaltbereitem Extremismus auftraten. 5 Hierbei stellte sich heraus, dass aggressiver Sexismus sowohl bei Männern, als auch bei Frauen der stärkste Indikator für die Befürwortung von gewaltbereitem Extremismus war. Die Verbindung war demnach stärker als Geschlecht, Alter, sozialer bzw. Bildungshintergrund, etc. – kurzum: jene Merkmale, die aktuelle Extremismuspräventionsstrategien bislang ins Zentrum ihrer Arbeit stellen. Darüber hinaus belegt eine Studie aus dem Jahr 2019 erstmals eine Beobachtung, auf die Praktiker*innen aus Frauenunterstützungssystemen und Angeboten der Extremismusprävention seit Jahren hinweisen: viele extremistische Gewaltverbrecher übten vor ihren Taten bereits physische Gewalt an ihren Partnerinnen aus.6
Der Wunsch nach einer Rückkehr zu einem vermeintlich „goldenen Zeitalter“ traditioneller Geschlechterrollen, wie auch die strenge Kontrolle dieser Normen, zieht sich wie ein roter Faden durch völkische und fundamentalistische Gruppierungen. Aus der Arbeit mit „IS“-Rückkehrenden wissen wir, dass sich eben diese einfachen Rollenversprechen als sehr wirksam für die Rekrutierung erwiesen. Auch die Umsetzung drakonischer Strafen bei Abweichungen von bestehenden Geschlechter- und Familienmodellen ist prägend in den Erfahrungsberichten über die „IS“-Herrschaft in Teilen von Syrien und dem Irak. Dabei treten keineswegs nur Männer für deren Umsetzung ein. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist die „IS“-Frauenbrigade Al-Khansaa, die für die „Sittenkontrolle“ verantwortlich war. Ein „Zurückdrehen“ von Frauen- und Minderheitsrechten ist auch im Kontext der aktuellen Lage in Afghanistan eine sichtbare Manifestation der Taliban-Herrschaft.
Die Debatte um Antifeminismus bettet sich ein in den Kontext eines breiteren gesellschaftlichen Backlashes mit Blick auf reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung oder der anti-genderistischen Mobilmachung.7 Antifeminismus dient hier als „symbolischer Klebstoff“, der strategische Relevanz für neue Allianzen in sich trägt.8 Diese bieten für extremistische Akteur*innen weit über ihre gewöhnlichen Unterstützer*innen hinaus eine breite Anschlussfähigkeit wie auch die Möglichkeit, Diskurse mitzubestimmen und zu prägen.
Feministische Leitlinien für eine wirksamere Extremismusprävention
Verbesserung von Genderanalyse und Programmvorgaben, Gender Budgeting
Wenngleich Frauen schon immer wichtiger Bestandteil extremistischer Bewegungen in verschiedenen aktiven Rollen waren, sind Zugänge zu weiblichen Zielgruppen viel weniger ausgebaut als zu deren männlichen Co-Akteuren; sie werden wesentlich schlechter erreicht und oft vernachlässigt. Es finden sich außerhalb primärpräventiver Arbeit, (z. B. an Schulen, politische Bildungsarbeit) kaum Angebote speziell für extremistische Frauen. Viele Ansätze werden zwar als „genderneutrale“ Interventionen verstanden, sind jedoch in Aufbau, Problemverständnis und ihren Zugangswegen an der Erreichung und Betreuung männlicher Zielgruppen orientiert. Beispielsweise gibt es de facto keine explizit für weibliche Personen aufgestellten Programme, in denen sie als Täter*innen und Ideolog*innen angesprochen werden. Einige der wenigen existierenden Programme sind entweder primärpräventiv oder sprechen Frauen in erster Linie als „peace builder“ und Mütter an. Als Täterinnen und politische Akteurinnen finden sie kaum Hilfsangebote für einen Ausstieg.
Mit Bezug auf aktuelle internationale Vorhaben der Arbeit mit extremistischen Zielgruppen ist demnach eine starke Orientierung an Geschlechterstereotypen festzustellen. Entgegen den Zielen einer feministischen Außenpolitik können Extremismuspräventionsprogramme, die in ihrer Ansprache tradierte Rollenbilder bedienen, durch die von ihnen gesetzten monetären und strukturellen Anreize sogar progressive Akteur*innen schwächen. Weiterhin haben die letzten Jahre verdeutlicht, dass Stigmatisierungserfahrungen durch Programme der Extremismusprävention sowohl die Glaubwürdigkeit dieser Programme als auch das Verhältnis zwischen Betroffenen und staatlichen Institutionen nachhaltig schädigen können. Aus diesem Grund müssen neben Genderkompetenzen v. a. Analysekompetenzen aus der anti-rassistischen Arbeit, wie auch anderer Dimensionen von Benachteiligung institutionalisiert einbezogen und Programme nicht ohne lokale Expert*innen aufgesetzt werden.
Die jahrzehntelange Arbeit von Feminist*innen hat klar gezeigt: Es gibt keine genderneutralen Budgets. Dennoch haben die meisten Programme weder explizite Vorgaben noch Anreize oder Mittel, um eine Genderanalyse durchzuführen und entsprechende Expertise zu inkludieren. Gleiches gilt für die Vorbeugung von Stigmatisierung, Marginalisierung und epistemischer Gewalt durch Programme der Extremismusprävention. Neben einer Genderanalyse von Budgets muss hier auch die Bearbeitung von Misogynie innerhalb von Extremismus ernstgenommen werden. Dafür braucht es weitere Forschung und Finanzierung von Pilotprojekten, beispielsweise zum Thema Misogynie und Extremismus, wie auch weitere Fallanalysen u. a. mit Bezug auf öffentliche und partnerschaftliche Gewalt.
Kompetenzausbau und Netzwerke
Für die Umsetzung müssen Verantwortliche befähigt werden, sinnvolle feministische Analysen durchzuführen. Ein solches Mainstreaming benötigt Trainings und breite Netzwerke zwischen feministischen Expert*innen und anderen Fachbereichen. Nur so können Programme unbeabsichtigten negativen Effekten vorbeugen und das Konzept der menschlichen Sicherheit in der notwendigen Komplexität umsetzen. Ein weiterer wichtiger Schritt hierfür wäre auch das Schaffen von Räumen, in denen sich Genderexpert*innen und Akteur*innen der Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit (WPS)“ mit Expert*innen der Extremismusprävention austauschen. Solche Räume fehlen international derzeit noch, mit dem Ergebnis, dass aktuelle feministische Expertise zu wenig in diesen Bereich übertragen wird.
Stärkung von Zivilgesellschaft und Ermöglichung langfristiger Kooperationen auf Augenhöhe
Zivilgesellschaftliche Arbeit ist ein wichtiger Baustein in der Implementierung des Konzeptes von menschlicher Sicherheit. Der Bereich Extremismusprävention ist traditionell stark dominiert von staatlichen Sicherheitsverständnissen; wichtige Angebote wie begleitende Ausstiegsarbeit, soziale Dienste, zivilgesellschaftliche Betreuung sind noch keine Selbstverständlichkeit. Eine feministische Außenpolitik muss sich einer Versicherheitlichung des Bereiches der Extremismusprävention entgegenstellen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen in diesem Bereich stärken. Dafür müssen Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass sie eine langfristige und partnerschaftliche Arbeit auf Augenhöhe ermöglichen, bei der Wissenstransfer in beide Richtungen angestrebt wird. Nur wenn die Arbeit an extremistischen Ideologien gemeinsam mit nationalen Stakeholdern entwickelt wird, kann sie nachhaltig in die Praxis übertragen werden.
Hierfür sollte eine Foreign Feminist Policy stärker auf Kooperation und Koordination setzen. Bedarfsabfragen bei lokalen Strukturen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sollten als Basis langfristiger Kooperationsprojekte fungieren. Auch Abstimmung zwischen laufenden Projekten und Vorhaben im Bereich der Extremismusprävention mit anderen Geldgeber*innen sollten verstärkt werden, um Dopplungen zu vermeiden und einen bedarfsgerechten Mitteleinsatz zu ermöglichen.
Kohärenz zwischen Innen- und Außenpolitik, demokratische Werte und Fokus auf Menschenrechte
Eine feministische Politik muss sich kohärent in Innen- und Außenpolitik über verschiedene Kontexte hinweg gegen Antifeminismus einsetzen. Dies beinhaltet das Wissen, dass Frauenrechte, jene von LGBTQI+ Menschen und anderen benachteiligten Gruppen keineswegs gesichert sind – insbesondere da, wo Menschen von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Letztlich kann internationale Extremismusprävention nur durch einen solchen außen- und innenpolitischen Einsatz für demokratische Werte glaubhaft arbeiten. So ist der Einsatz Deutschlands für die Umsetzung juristischer Prozesse und eine an internationalen Standards orientierte Umsetzung von Haftstrafen im Kontext des „IS“ begrüßenswert. Extremistische Gewaltverbrechen dürfen nicht ungesehen passieren. Weitere Fortschritte müssen z. B. in der Rückführung von „IS“-Ausgereisten und ihrer Kinder gemacht werden, die unter inhumanen Bedingungen in nordsyrischen Lagern leben. Gleichsam dürfen nicht ausschließlich Täter*innen, sondern müssen v. a. auch die Interessen der von Extremismus betroffenen Menschen und Regionen unterstützt werden.
Fazit
Der Weg zu einer überzeugend feministischen Außenpolitik wird ein Langer sein. Umso wichtiger ist es, jetzt die Weichen richtig zu stellen und blinde Flecken und Schwierigkeiten in der Umsetzung klar zu benennen. Es wäre eine Vereinfachung zu glauben, dass eine FFP die Patentlösung für komplexe Probleme wie die steigende Polarisierung unserer Gesellschaften und der wachsende weltpolitische Einfluss extremistischer Akteur*innen ist. Klar ist jedoch, dass eine geschlechterreflektierte und diversitätsorientierte Extremismusprävention positiv auf die Implementierung einer feministischen Außenpolitik einwirken kann. Sowohl feministische Außenpolitik als auch Extremismusprävention haben den Einsatz gegen jegliche Ideologie der Ungleichwertigkeit zum Ziel. Die aktuelle Datenlage legt nahe, dass uns eine genauere Betrachtung dieser Schnittstelle zu effektiveren Programmen in P/CVE als Baustein einer feministischen Außenpolitik führen könnte.
Endnoten
1 Bündnis 1325: Annäherung an eine feministische Außenpolitik Deutschlands. S. 4. Verfügbar unter: https://medicamondiale.org/service/mediathek/annaeherung-an-eine-feministische-aussenpolitik- deutschlands-e-paper-buendnis-1325 (Stand 03.10.2022)
2 Vgl. Meiering, David / Drizi, Aziz / Foroutan, Naika (2018): Brückennarrative – Verbindende Elemente für die Radikalisierung von Gruppen. In PRIF-Report Nr. 7, Frankfurt (mit Simon Teune, Esther Lehnert, Marwan Abou- Taam).
3 Vgl. Dhaliwal, Dr Sukhwant / Kelly, Prof. Liz (2020): Literature Review: The Links between Radicalisation and Violence against Women and Girls. London Metropolitan University, Child & Woman Abuse Studies Unit. Online verfügbar unter: https://cwasu.org/resource/literature-review-the-links-between-radicalisation-and-violence- against-women/ (Stand: 12.11.2021)
4 eine Abkürzung für involuntary celibate, also unfreiwillig zölibatär. Mitglieder rufen u.a. dazu auf „unterdrückerische feministische Systeme“ stürzen. Anschläge erfolgten z.B. im Kalifornischen Isla Vista, in Toronto und anderen Städten. Canada änderte daraufhin ihr Einstufungssystem für extremistische Gruppierungen, um auch solche Taten als extremistische Gewalt ahnden zu können.
5 Johnston, Melissa / True, Jacqui (2019): Misogyny & Violent Extremism: Implications for Preventing Violent Extremism. Monash University / UN Women. Online verfügbar unter: https://asiapacific.unwomen.org/-/media/field%20office%20eseasia/docs/publications/2019/10/ap-policy- brief_ve_and_vaw_v6_compressed.pdf?la=en&vs=1624 (Stand: 10.09.2021)
6 Smith, Joan (2019): Home Grown: How Domestic Violence Turns Men into Terrorists. London: riverrun Verlag.
7 Violence Prevention Network / Centre for Feminist Foreign Policy (2021): How anti-feminist and anti-gender ideologies contribute to violent extremism- and what we can do about it. Verfügbar unter: https://violence- prevention-network.com/tools-resources/ [Stand 30.09.2022]
8 Schmincke, Imke (2018): „Frauenfeindlich, Sexistisch, Antifeministisch? Begriffe und Phänomene bis zum aktuellen Antigenderismus“. In: (Anti-)ApuZ 2018(17), S. 33.