Michail Logvinov | INTERVENTIONEN – Zeitschrift für Verantwortungspädagogik | Ausgabe 1/2012
Islamistische Radikalisierung – Zur Erklärungskraft wissenschaftlicher Theorien und sicherheitsbehördlicher Hypothesen
Obwohl deutschstämmige Gotteskrieger bereits seit Jahren ein fester Bestandteil der globalen Dschihad-Historie sind, kann man deutsche (wissenschaftliche) Abhandlungen über islamistische Radikalisierungsprozesse und -faktoren an einer Hand abzählen. Die Frage „Wie Islamisten in Deutschland zu Terroristen werden?“ scheint erst eine knappe Dekade nach dem 11. September 2001 an Konjunktur gewonnen zu haben. Dabei war es die Hamburger Zelle, die die Anschläge eines bis dahin nicht gekannten Ausmaßes durchführte.
Einleitung
Von 2009 an ist die Problematik des deutschen Dschihad wiederholt zu einem öffentlich wirksamen Thema geworden. Denn mehrere deutschstämmige Islamisten traten in einem Dutzend Propagandastreifen der Al-Qaida & Co. mit unverblümten Drohungen gegen Deutschland auf – sie suchten die Bundestagswahlen zu manipulieren, die Öffentlichkeit wie die deutsche Regierung zu erpressen und die Antikriegsstimmung zu schüren, um den Bundeswehrabzug aus Afghanistan zu erzwingen.
Um einen angeblichen Anschlag in Europa und in Deutschland 2010 zu vereiteln, flogen CIA-Drohnen mehrere Einsätze in Pakistan und schalteten unter anderem deutsche Dschihadisten aus. Sowohl das deutlich nachgelassene Propagandaaufkommen als auch bestätigte Tötungen lassen den Schluss zu, dass die deutschen Gruppen in Afghanistan/Pakistan (AfPak) dezimiert sind. Momentan geht der BND von ca. 20 Personen aus Deutschland aus. Dennoch sind propagandistische Aktivitäten aus dem Ausland feststellbar.
Wie effektiv auch immer die militärische Kooperation mit den USA sein mag, gezielte Tötungen von Dschihadisten sind wenig effizient, da militärisch-operative Maßnahmen lediglich die Symptombekämpfung darstellen. Die Binsenweisheit lautet demgegenüber, es seien die Radikalisierungsursachen und -faktoren zu bekämpfen. Doch was wissen wir über jene Faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass junge Menschen in die Gebiete des Dschihad auswandern oder sich für Anschläge in Deutschland sensibilisieren lassen? Deutschland gilt dabei als „dschihadistischer Exportweltmeister“, aus keinem anderen europäischen Land haben sich in den letzten drei Jahren so viele Möchtegern-Kämpfer nach Pakistan abgesetzt. (Inoffiziellen Angaben zufolge 2009 ca. zehn Personen monatlich, 2010 und 2011 ca. fünf „Auswanderer“ im Monat.)
Deutsche Wissenschaft und Sicherheitsbehörden über islamistische Radikalisierung
Radikalisierungsprozesse sind für deutsche Wissenschaftler und Sicherheitsexperten kein neues Phänomen, weshalb man erwarten würde, das dringend notwendige Wissen sei bei Bedarf abzurufen. Doch bei genauem Hinsehen stellt sich heraus, dass die deutsche Wissenschaft die islamistische Radikalisierung1 stiefmütterlich behandelt hat. Der Diagnose von Wolf Schmidt ist zuzustimmen.2 In der deutschen Radikalisierungsforschung haben sich bis jetzt keine ontologischen, normativen und epistemologischen Annahmen herausgebildet, die eine Theoriebildung ermöglichen würden. Daher sind wissenschaftliche Analysen mit einem überzeugenden Ansatz rar. So interessant eine biographisch angelegte Studie der Radikalisierungskarrieren auch ist, erscheint die Eigenschaft „vaterlose junge Männer“ als die erklärende Variable wenig überzeugend.3 Auch qualitativ-empirische Analysen wie die primärdatenbasierte Studie „Die Sicht der Anderen“ aus dem Projekt „Extremismen in biographischer Perspektive“ (EbiP) leuchten nur wenige Variablen aus, die mit islamistischen Ideologien und gruppendynamischen Prozessen zu tun haben.
Die Analyse „Radikalisierung in der Diaspora“ von Peter Waldmann (2009) hebt sich demgegenüber deutlich von anderen Arbeiten ab. Obwohl der Autor keine empirische Forschung betreibt, geht er die Radikalisierungsproblematik holistisch an. Der Studie liegt ein integrierter Ansatz zugrunde: Waldmann formuliert sei- ne Hypothesen vor dem Hintergrund der sozialen Meso-(Diaspora, Migration) und Mikroebene (individuelle Entwicklungsprozesse, Zusammenspiel von lokalen und globalen Ereignissen) sowie der „Eigendynamik sektenartiger Kleingruppen“ – ein Faktor, der nicht selten ausgeblendet wird.4 Obwohl der multidimensionale und multikausale Ansatz von Waldmann Erfolg versprechend ist, ist das Konzept der Diaspora, das auch in anderen Forschungsprogrammen als Referenzpunkt Anwendung findet, nicht unproblematisch. Gilt doch unter den (transnational orientierten) Islamisten nicht eine ethnische Gemeinschaft, sondern die Umma, eine konstruierte religiöse Gemeinschaft der Muslime (al-umma al-islamiyya) als Bezugsgruppe.5
Während die Wissenschaft es sich leisten kann, die notwendigen Erklärungen mit deutlichen Verzögerungen zu liefern, sind die Sicherheitsbehörden in ihrer alltäglichen Arbeit auf operationalisierbare Kategorien und Erkenntnisse angewiesen. Was wissen die deutschen Sicherheits- experten über das Phänomen der islamistischen Radikalisierung? „Wir wissen eigentlich relativ wenig [über den Prozess der Radikalisierung]. Wir sind wirklich Lernende. Wir sind in Deutschland noch mehr Lernende als im europäischen Ausland“, sagte eine Islamwissenschaftlerin auf der Veranstaltung „Islamismus: Prävention und Deradikalisierung“ in Berlin. Die Sicherheitsbehörden unterscheiden laut der Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, sechs radikalisierungsfördernde Faktoren: 1) Salafismus und seine wachsende Infrastruktur, 2) Internet- und Videopropagan- da, 3) Peergroups, 4) gesellschaftliche Entfremdung, 5) terroristische Ausbildung und 6) soziale Faktoren als Nährboden. Die Liste beinhaltet auf den ersten Blick alle relevanten Faktoren auf der individuellen, sozialen und Gruppenebene. Es mangelt jedoch an einer systematischen Zuordnung der Variablen zu den jeweiligen Gefahrenfaktoren. Zugleich steht fest, dass die terroristische Ausbildung als radikalisierungsfördernder Faktor eine qualitativ neue Stufe der Radikalisierung darstellt. Zudem haben die Unabhängigen wie die Kofferbomber und der Frankfurter Schütze keine terroristische Ausbildung durchlaufen. Überdies ist die pauschale Zuordnung des Salafismus zum extremistischen Radikalisierungsreservoir unter Experten umstritten.6 Die Empfehlung des Islamismusexperten Klaus Hummel lautet daher: „Statt Salafismus als ‚Durchlauferhitzer‘ aufzufassen und lineare Radikalisierungsverläufe zu unterstellen, sollten Modelle greifen, die auf De-Eskalation setzen und selbst in fortgeschrittenen Stadien der Radikalisierung noch De-Radikalisierung zum Ziel haben“.7 Doch solche Modelle bedürfen eines profunden Wissens über Radikalisierungsprozesse und -faktoren, womit wir wieder bei der Frage nach analytischen Erklärungsmodellen angelangt sind.
Wissenschaftliche Ansätze und Erklärungsmodelle: ein Überblick
Radikalisierungsprozesse sind komplex und laufen auf verschiedenen Ebenen – individuell und gruppenbezogen (Mikro- wie Makrogruppen) – ab. Je nach Standpunkt des Betrachters unterscheiden sich dementsprechend die Forschungsansätze, während die der Theoriebildung zu Grunde liegenden Hypothesen sich auf den Output auswirken. Auch umgekehrt gilt: Der Output der Radikalisierung beeinflusst jeweilige theoretische Annahmen.
„This is all about Islam” vs. „This is not about Islam”
Eine der zentralen Fragen, die bereits seit der Mitte der 1990er Jahre die Radikalisierungsforschung beschäftigt, ist jene nach der Rolle des Islam. Es lassen sich zwei Argumentationsstränge bzw. Ansätze hervorheben, die sich gewissermaßen als Forschungsparadigmen etabliert haben.
Der vertikale Ansatz stellt einen Zusammenhang zwischen Radikalisierungsprozessen und dem Islam her. Dabei ist von der Islamismuskompatibilität des Islam die Rede. Ein relevanter Radikalisierungsfaktor ist demnach die salafistische Theologie, die die Ideologisierung der islamistischen Akteure vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten fördert. Ideologische Radikalisierung sei ein Teil der theologischen Radikalisierung, wobei der Islam als Legitimationsquelle, die salafistische Ideologie als Schlüssel und die Indoktrination als Rekrutierungsstrategie gelten. Die Top- Down-Herangehensweise fragt daher nach dem ideologischen Einfluss und Manipulationsstrategien terroristischer Organisationen und favorisiert Integrationsmaßnahmen sowie die Verbreitung des „guten“ Islam.8
Der horizontale Ansatz betrachtet demgegenüber die islamistische Radikalisierung vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Gewaltphänomene als „powerful narrative“. So erklärt Oliver Roy die islamistische Radikalisierung als linken Anti- Imperialismus (in religiösem Gewand), der nicht nur Muslime anzieht. Daher sei die Radikalisierung im europäischen Gewaltkontext zu verstehen. In Europa sozialisierte Muslime hätten keinen Bezug zu Konflikten im Nahen Osten, weshalb es darauf ankomme, das uminterpretierende und radikalisierende Narrativ von Al-Qaida zu zerstören. Denn die Konflikte in der arabischen Welt spielen lediglich als narrative Konstruktionen eine Rolle: Jedes angebliche Verbrechen gegen die virtuelle Umma deuten die Islamisten als Angriff auf Muslime um.9 Die Anhänger des horizontalen Ansatzes legen daher nahe, Al-Qaida zu deislamisieren, statt den „schlechten“ Islam zu dämonisieren, und die Radikalisierung der „delinquenten Generation“ auf Personenebene zu studieren.
„It‘s about who you are“ vs. „It‘s about who you know“
Die Versuchung ist groß, eine „verrückt“ wirkende Person, die sich mit dem „Lächeln der Freude“ in die Luft sprengt oder einen Massenmord an ihren Mitbürgern begeht, für geisteskrank und/oder soziopathisch zu erklären. Daher verwundert es wenig, dass die ersten Gehversuche der Radikalisierungsforschung Psychiater und Psychologen gemacht haben. Dabei standen mögliche Traumata und dysfunktionale Entwicklungen in der psychisch-mentalen Persönlichkeitsstruktur im Mittelpunkt und sie suchten nach familiären und anderen „Störungsursachen“. Psychiater Marc Sageman stellte dagegen nur in einem Fall von 172 untersuchten „salafistischen Mudschaheddin“ ein Kindheitstrauma fest, wobei in 61 Fällen „some fragment of childhood data“ vorlagen. Er habe jedoch keine Beweise für pathologischen Narzissmus oder paranoide Persönlichkeitsstörungen bei den Probanden feststellen können, so Sageman.10
Mentale Schwäche, narzisstische Persönlichkeit und sexuelle Neigungen, die zu einem Konflikt mit der Außenwelt führen, gehören zum Erklärungsinstrumentarium verschiedener psychopathalogischer Ansätze. Da diese das terroristische Verhalten als antisozial bewerten, liegen pathologische Erklärungsmodelle nahe, werden dem Untersuchungsobjekt jedoch größtenteils nicht gerecht, weil das terroristische und selbst suizidale Verhalten in vielen Fällen mit einer rationalen Entscheidung einhergeht, die auf Nutzenmaximierung gerichtet und/oder durch Altruismus motiviert ist. Daher sind psychoanalytische Ansätze wenig bis kaum aussagekräftig.
Psychologische Theorien
Die kognitive Theorie stellte demgegenüber nachweisliche Zusammenhänge zwischen dem gewalttätigen Verhalten und kognitiven Fähigkeiten bzw. dem kognitiven Stil terroristischer Akteure fest. Entgegen verbreiteter, durch psychopathologische Ansätze tradierter Meinungen stellt sich heraus, dass „radikale“ Links- und „moderate“ Rechtsextremisten die höchste kognitive Komplexität besitzen.11 Laut kognitivem Ansatz stellt das extremistische Verhalten eine strategisch angelegte und einer rationalen Entscheidung/Wahl folgende Reaktion auf die Umwelt dar. So weist Martha Crenshaw auf die strategische Rolle terroristischer Gewalt auf der Gruppenebene hin.
Da Erniedrigung und daraus resultierend der Wunsch nach Rache starke Motivationen sind, wendet die so genannte Erniedrigung-Rache-Theorie (Marc Juergensmeyer) diese Emotionen als erklärende Variablen auf terroristische Gewalt an. Die Gewaltspirale sowie politische und soziale Unterdrückung im Nahen Osten liefern hierfür das notwendige empirische Substrat. Die Motivationslage junger Selbstmordattentäter weist oft die Rachekomponente auf, weshalb die Erniedrigungstheorie – auch als gruppenbezogenes Motiv – plausibel erscheint. Dennoch stellen Motive wie Rache und Hass nur eine der Dimensionen des (Selbstmord-)Terrorismus dar und beziehen sich lediglich auf die negative Bezugsgruppe. Mit Blick auf positive Bezugsgruppen kommen bspw. Motive zum Tragen wie der Wunsch, der Heimat zur Unabhängigkeit zu verhelfen und sie zu verteidigen, materielle Gratifikationen für die eigene Familie nach dem Tod zu sichern, sowie persönliche Motive wie Eitelkeit, „Ehre und Ruhm“ usw.
Die psychologisch angelegte Identitätstheorie besagt, dass junge Erwachsene, deren autoritäre Eltern sie in ihrer Autonomie hinderten und somit eine Persönlichkeitskrise auslösten, auf ihrer Identitätssuche extremistische Ideologien verinnerlichen und sich politischer Gewalt zuwenden.12 Terrorismus kann daher als doppelte Rebellion der Sinnsucher gegen die traditionalistische, zuweilen autoritäre Kultur der Eltern und die westliche Mehrheitskultur aufgefasst werden. Islamistische Gruppen gelten dabei als Identitätsspender. Obwohl die soziologische Komponente der Identitätstheorie durchaus von Bedeutung ist, greift ihre psychologische Prämisse zu kurz. Einige Islamwissenschaftler ziehen gar eine Verbindungslinie von der „Entstabilisierung im Wertesystem“ über „Desorientierung, Irritationen und Frustrationen“ bis hin zum gewalttätigen „kannibalischen Narzissmus“.13
Sozialpsychologische und soziologische Theorien
Mangelhafte Validität und prognostische Defizite der psychologischen Erklärungsmodelle lenken die Aufmerksamkeit auf gruppendynamische Prozesse.14 Daher rücken sowohl der sozialpsychologische als auch der soziologische Ansatz Gruppenprozesse und soziale Interaktionen als erklärende Variablen in den Mittelpunkt.
Sozialpsychologen gehen unter anderem der Frage nach, welche Gratifikationen radikalisierte Gruppen bieten und welche psychologischen Bedürfnisse sie ansprechen. Aus dem Zusammenspiel der individuellen Bedürfnisse mit Gruppengratifikationen und -prozessen ergeben sich jene Gruppendynamiken, die entsprechend dem sozialpsychologischen Ansatz die Radikalisierung (an)steuern. Sozialpsychologische Hypothesen besagen, dass ideologisierte Gruppen jungen Erwachsenen eine soziale Rolle (Identitätssuche) in einer klar strukturierten Welt bieten. So hebt die Theorie der sozialen Identität jene Faktoren hervor, die es einer Person möglich machen, ihre Identität in Gruppenkategorien zu konstruieren. Gruppenwerte und -emotionen sowie Gemeinschaftsziele entwickeln sich demnach zu einem festen Bestandteil des Selbst, weshalb die reale oder perzipierte Gefahr für die Gruppe auch persönlich wahrgenommen wird. Die Bereitschaft zu töten entwickelt sich als Folge der ideologischen Indoktrination, des Gruppen- drucks und sukzessiven Wertewandels.
Die Theorie des sozialen Lernens erklärt das aggressive (wie terroristische) Verhalten als Folge der Beobachtung, Verinnerlichung und der Imitation delinquenter Verhaltensmuster.15 Das soziale Lernen kann sogar didaktische Züge annehmen, wie es in manchen pakistanischen Ko- ran- und Dschihadschulen der Fall ist. Auch Propaganda bzw. dschihadistische Handreichungen zählen demnach zu den Quellen des sozialen Lernens. Die Theorie erklärt allerdings nicht, wie und warum westliche Gesellschaften, in denen es keine(n) Märtyrer- oder Dschihad-Kult(ur) gibt, Dschihadisten hervorbringen.
„This is about a situation in itself“ vs. „This is about framing the situation“
Wissenschaftler gehen auch der Frage nach, welche sozialen Ereignisse bzw. Konstellationen als Auslöser von Radikalisierung fungieren (können). Dabei lassen sich zwei soziologische Argumentationsstränge unterscheiden. Der erste besagt, es seien zahlreiche Unterdrückungs-, Diskriminierungs- und Deprivationserfahrungen, die in Frustration und anschließend in Gewalt münden; der zweite hebt einen diskursiven Argumentationsrahmen („framing“) hervor, der die jeweiligen Probleme ins „richtige“ Licht rückt.
Einen Zusammenhang zwischen der politischen wie ökonomischen Situation und politisch-motivierten Gewalt konstruieren die Unterdrückungstheorie, die Theorie der (relativen) Deprivation und die Frust- rations-Aggressions-Hypothese. Entsprechende Thesen lauten wie folgt: Unterdrückung ruft politische Gewalt hervor, verhinderte Teilhabe an ökonomischen, sozialen und kulturellen Gütern kann in Gewalt ausarten, Gewalt ist immer eine Folge von Frustration. Da der Dialog zwischen analytischen Annahmen und empirischen Daten nicht selbstverständlich gegeben war, suchten die „Realisten“ die Diskrepanz zu überwinden, indem sie Kategorien der „imaginären“, „perzipierten“ Unterdrückung bzw. Erniedrigung einführten. So kategorisiert, gilt die empfundene Unterdrückung und/oder Erniedrigung der Muslime sowohl durch den Westen („Krieg gegen den Islam“) als auch durch hiesige Regimes (Helfershelfer des Westens) als Erklärungsfaktor der Radikalisierung in Europa.16
Die französische Soziologie (Kepel, Khosrokhavar, Roy) macht dagegen nicht politische Repressionen oder ökonomische Deprivation für Radikalisierung verantwortlich. Als erklärende Variable gilt hier die Auflösung traditioneller Gemeinschaften und daraus resultierend der Versuch junger Muslime, die verlorene Identität in einer als verwirrend und/oder feindlich wirkenden Welt zurück zu erlangen. Individualisierung und Werterelativismus sowie das Gefühl der doppelten Nicht-Zugehörigkeit (Diaspora – Aufnahmegesellschaft) lösen demnach die Identitätssuche und anschließend die Hinwendung an die imaginäre Umma aus. Reale oder empfundene Diskriminierung wie Stigmatisierung – vor allem infolge der Terrorismusbekämpfung – leiten die Identitätssuche in eine delinquente Richtung.17 So tappen Staat und Gesellschaft in die Stigmatisierungs- und Solidarisierungsfalle.
Auch die konstruktivistisch anmutende Framing-Theorie legt ihr Augenmerk nicht auf die politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen (Ereignisse) selbst. Denn diese sind gemäß der analytischen Annahme nicht aussagekräftig. Eher besteht die soziale Realität aus zahlreichen, im Wettbewerb stehenden Realitätsversionen, die um die Interpretationshoheit konkurrieren. Frames sind jene Interpretationsschemata, die Werte und Überzeugungen umfassen. Framing steht somit für Konstruktion des Selbst und der Welt sowie für die Verbreitung der jeweiligen Realitätsversionen (Frames). Die Fähigkeit der ideologisierten Gruppen, ihre potentielle Anhängerschaft anzusprechen und zu mobilisieren, entscheidet über ihren Erfolg und Misserfolg, während die Übereinstimmung der Realitätsversionen als Mobilisierungsschlüssel gilt. Die Radikalisierung stellt gemäß der Framing-Theorie eine diskursive Form der Herstellung von Intersubjektivität und zugleich einen intersubjektiven (diskursiven) Prozess des Framing dar, in dem eine ungerechte Welt mit Opfern und Schuldigen entsteht sowie Argumente für die Notwendigkeit und moralische Rechtfertigung der Gewaltlösungen tradiert werden.18
Radikalisierungspfade und Stationen auf dem Weg zum islamistischen Terrorismus
Die Suche nach Radikalisierungsursachen und -faktoren ist nur eines der Anliegen angewandter Terrorismusforschung. Denn nicht minder relevant sind Hypothesen, die sich den Radikalisierungsabläufen annehmen. Wissenschaftler und Sicherheitsbehörden unternahmen einige Erklärungsversuche, die sich in linearen wie multidimensionalen Modellen manifestierten.
Königsweg der Radikalisierungsforschung?
Der Überblick gängiger Theorien macht deutlich, dass kein einzelnes Modell für sich ausreichend ist, um die exogenen und endogenen Radikalisierungsfaktoren umfassend zu erklären. Grundsätzlich entzieht sich die (islamistische) Radikalisierung monokausalen und eindimensionalen Erklärungsversuchen. Besonders umstritten sind die psychoanalytischen bzw. -pathologischen Ansätze, die vergeblich nach Anomalien einer „terroristischen Persönlichkeit“ such(t)en. Die einschlägige Forschung hat nachgewiesen, dass es sich im Fall eines terroristischen Verhaltens nicht um paranoidale oder narzisstische Selbstzerstörung handelt.23 Noch weniger trifft die Annahme „narzisstischer Wut“ auf Gruppenakteure zu.
Deutlichen Erkenntnisgewinn hingegen versprechen Forschungsprogramme, die sozialpsychologische und soziologische Erklärungsansätze unter der Prämisse des rationalen Verhaltens anwenden. Die sozialpsychologischen Theorien beschreiben individuelle Ziele und Motive („psychology of needs – psychology of rewards“) und erklären, wie Gruppen Radikalisierungsprozesse (an-)steuern. Die Theorie der Sozialen Bewegungen (TSB) und die Framing-Theorie können die sozialen Interaktionen erklären.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es sich im Fall der islamistischen Radikalisierung vor allem um Netzwerke, Gruppenprozesse und religiös konnotierte narrative Konstruktionen handelt. Netzwerke sind insofern ausschlaggebend, als laut Sageman ca. 90 Prozent der Islamisten sich freundschafts- und/oder verwandtschaftsbedingt dem Dschihad angeschlossen haben.24 Ähnlich (bottom-up) verlief die Rekrutierung für die Sauerland-Zelle und die DTM (Deutsche Taliban-Mujaheddin)-Gruppe. Gruppendynamiken intensivieren Radikalisierungsabläufe und zementieren radikale Weltbilder. Die Rolle des Framing und der Frameangleichung ist ausschlaggebend für die Bereitschaft, sich einer extremistischen Gruppe anzuschließen. Dergestalt erweist sich der horizontale Ansatz als überzeugenderes Paradigma der angewandten Radikalisierungsforschung. Die individuelle Perspektive ist jedoch nur im Kontext relevant, handelt es sich doch um wiederholte soziale sowie psychologische Interaktionen mit einer ideologisierten Gemeinschaft. Radikale Milieus sind Praxisgemeinschaften, in denen soziales Lernen stattfindet und jeweilige Verhaltensmuster Anwendung finden. Dabei erscheint es angebracht, Radikalisierung als nicht-linearen Prozess zu verstehen.25
Die Wertetransformation bis hin zur moralischen Gewaltlegitimierung stellt einen Gruppenprozess dar, wobei ein physisches Netzwerk von Gleichgesinnten nicht zwingend erforderlich ist. Radikalisierung erfolgt in einer islamistischen „Semiosphäre“, die inzwischen auch als virtuelles Netzwerk bzw. narratives Frame firmiert. Das soziale Lernen findet in virtuellen wie in physischen Netzwerken statt, wobei es auf die Frameangleichung und Identitätstransformation ankommt. Es ist das islamistische Framing, das das Unglücks- bzw. „das-ist-doch- nicht-in-Ordnung“-Gefühl als Ungerechtigkeit, Erniedrigung oder Unterdrückung definiert und Schuldige ausmacht. Erst in der entsprechenden Semiosphäre entfaltet die Unzufriedenheit bzw. Frustration ihre Wirkung. Das islamistische Frame beinhaltet politische, moralische, sozial- psychologische und religiöse Diskurse. Das religiöse Narrativ malt einen Kampf des Westens gegen den Islam und des Islam gegen die westlichen „Kreuzritter“ an die Wand. Angesichts der Frameangleichung ist es daher äußerst kontraproduktiv, wenn staatliche bzw. internationale Maßnahmen genau in den narrativen Rahmen passen, demzufolge der Westen den Islam angreife und Muslime verfolge, während die Dschihadisten sich lediglich dagegen zur Wehr setzten.26 Die Religion als dominantes Medium der Gewaltlegitimation bietet ein einzigartiges Vokabular, das hinsichtlich bestimmter Ansprüche kompromisslos formuliert werden kann. Daraus auf die Islamismuskompatibilität des Islam zu schließen, ist jedoch epistemisch fragwürdig.
Wirksame Präventions- und De-Radikalisierungsprogramme (im Sinne von Disengagement) bedürfen nach wie vor empirisch nachgewiesener Erklärungen der Radikalisierungsprozesse. Entspringt die islamistische Radikalisierung einem spezifischen Vorgang oder sind Radikalisierungsursachen im Links- und Rechtsextremismus sowie im Islamismus auf vergleichbare Variablen zurückzuführen? Dieses Forschungsdesiderat gilt auch in Bezug auf individuelle Risikofaktoren, die die biographische Forschung untersucht. Sind die hier hergestellten Kausalitätsverhältnisse aussagekräftig? Sind islamistische Radikalisierungskarrieren in Europa vergleichbar oder liegen – verursacht durch verschiedene Migrationspolitiken und Situationen in der Diaspora – womöglich Unterschiede vor? Wie ist zu erklären, dass bei ähnlicher Deutung einer Situation verschiedene Modelle des Handelns selektiert werden, wobei nur eine Minderheit auf Gewalt zurückgreift? Was hält andere Akteure von der Gewaltanwendung ab? Welche sozialen Interaktionsprozesse sind für die islamistische Radikalisierung in Deutschland verantwortlich? Wie und unter welchen Umständen enden islamistische Radikalisierungskarrieren? Diese und andere Fragen harren in der deutschen Radikalisierungsforschung plausibler Antworten. Daher ist es notwendig, hypothesenprüfende Forschungsprogramme zu etablieren, bevor einzelne Faktoren verallgemeinernd und gewissermaßen willkürlich in zahlreichen Präventions- und De-Radikalisierungsinitiativen aufgegriffen werden. Denn der Einfluss von Stigmatisierungszeremonien auf Verschärfungsprozesse in islamistischen Karrieren (sekundäre Devianz) infolge falscher hypothetischer Annahmen könnte größer sein als vermutet.
Der Autor
Dr. Dr. Michail Logvinov ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden. Er arbeitet an einem vom Sächsischen Staatsministerium des Innern geförderten Projekt zu rechten Mehrfach- und Intensivtätern in Sachsen.
Endnoten
1 Unter der islamistischen Radikalisierung versteht der Autor einen Entwicklungsprozess, an dessen Ende Staat und Gesellschaft Akteuren gegenüberstehen, die bereit sind, dafür zu kämpfen, dass „Allahs Wort das höchste ist“.
2 „Deutschland hat an einer […] Stelle Nachholbedarf: der islamistischen Radikalisierung präventiv vorzubeugen. Warum driften junge Männer und Frauen, die hier aufgewachsen sind, in islamistische Gruppen ab? […] Über die Motive junger Menschen, die sich vergleichbaren islamistischen Gruppen hierzulande anschließen, weiß man […] immer noch zu wenig. Ebenso wenig weiß man leider, was unternommen werden kann, um junge Männer und Frauen von dieser zerstörerischen Ideologie abzubringen“, siehe: Wolf SCHMIDT: Die reale Gefahr der islamistischen Radikalisierung, in: die tageszeitung, 14. Dezember 2010, S. 1.
3 Vgl.: Martin SCHÄUBLE: Black Box Dschihad. Daniel und Sa‘ed auf ihrem Weg ins Paradies, München 2011.
4 Auf der Meso-Ebene unterscheidet der Autor zwischen Pull- und Push-Faktoren sowie auslösenden Ereignissen. Pull- Faktoren sind 1) die salafistische Ideologie, 2) Dschihadisten als „radikalisierendes Ferment“, 3) Al-Qaida als „Propagandastelle und Ideologie“. Als Push-Faktoren gelten 1) fehlende soziale Integration und kulturelle Kluft zwischen Muslimen und Einheimischen sowie 2) Islamophobie im Westen. Trigger bzw. Auslöser sind solche Ereignisse, die den Radikalisierungsprozess unmittelbar in Gang setzen oder gegebenenfalls zu einem Gewaltausbruch führen. Auf der Mikroebene ließen sich Persönlichkeits- und Identitätskrisen als begünstigende Faktoren der Radikalisierungsprozesse ausmachen. Demnach sind es junge Sinnsucher, deren „kognitive Öffnung“ durch verschiedene Ereignisse – traumatisierende biographische Entwicklungen oder „Aufklärung“ durch salafistische Prediger – ausgelöst wird, so dass sie sich der Ideologie öffnen und den salafistischen Gruppen anschließen. Moderne Medien wie das Internet bieten zudem zahlreiche Möglichkeiten für individuelle Prä- bzw. „Selbstradikalisierung“. Radikalisierung als individualpsychologischer Prozess findet in einem Gruppenkontext statt, weshalb Waldmann auf eine herausgehobene Rolle der „Cliquen“ und Gruppen hinweist, die zu einer „brüderlichen Gemeinschaft“ verschmelzen. Dabei steigert sich das Gefühl, einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, „durch eine puristisch-orthodoxe Glaubensausrichtung, nach welcher der Westen durch und durch verdorben und das kollektive Heil allein von der zu erkämpfenden Revolution im Namen des Islam zu erwarten sei. Die Gruppe wurde somit zum Resonanzraum für eine sakrale Botschaft und zur Trägerin einer wichtigen Mission“, vgl.: Peter WALDMANN: Radikalisierung in der Diaspora. Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden, Hamburg, 2009, S. 113.
5 Auch der idealtypischen Umma der radikalisierten Islamisten sind Merkmale eigen, die sich anhand des Konzepts der „ideologischen Gruppe“ (Nahirny) veranschaulichen lassen: 1) die totale Hingabe an gemeinsamen Glauben bzw. gemeinsames ideologisches Programm, 2) ein dichotomisches Weltbild (bedrohte wie unterdrückte Muslime und der Westen bzw. seine Helfershelfer), 3) die Entnationalisierung, Entindividualisierung und Opferbereitschaft für gemeinsame Ziele; 4) Steuerung der Gefühle der Zu- und Abneigung (vgl. das Konzept „der Loyalität und Lossagung“): Freundschaft, Loyalität und Unterstützung gilt allein den muslimischen Geschwistern aus der in Mitleidenschaft gezogenen Gemeinschaft, wobei alles Nicht-Islamische bzw. „Falsche“ zu meiden und/oder zu bekämpfen sei. Sowohl im Makro- als auch im Mikrokontext (die imaginäre Umma – radikalisierte Gruppe) erklärt das Konzept der ideologischen Gruppe die Logik des diskursiv-ideologischen Framing.
6 Das salafistische Spektrum in Deutschland sei laut Szenekennern aus zwei Gefahrenperspektiven zu betrachten. Aus der Sicht der Radikalisierungsforschung fördere die Kombination aus orthodoxem Islamverständnis und politischem Weltbild durchaus Radikalisierungsprozesse. Zugleich drängen pauschale Extremismusvorwürfe (Stigmatisierung) Aktivisten in entsprechende Rollen, wie der Generalverdacht der salafistischen Mobilisierungsstrategie entgegenkommt, so dass das Phänomen unbewusste Unterstützung findet. Daher sei es notwendig, differenzierte Arbeitsbegriffe einzuführen, vgl.: Klaus HUMMEL: Salafismus in Deutschland – eine Gefahrenperspektive, unveröffentlichtes Manuskript, 2009.
7 Klaus HUMMEL: Salafismus. A. a. O. S. 21.
8 Zugespitzt formuliert lautet die Problemdiagnose wie folgt: “[…] there is only one way to stop this terrorism we are seeing from Indonesia to Iraq and from Madrid to London […]. It will stop only when the religious and political leaders, and parents, in these Sunni Muslim communities delegitimize it and anyone who engages in it. Western leaders keep saying after every terrorist attack, ‚This is not about Islam.‘ Sorry, but this is all about Islam. It is about a war within Islam between a jihadist-fascist minority engaged in crimes against humanity in the name of Islam, and a passive Sunni silent majority”, Thomas L. FRIEDMAN: Silence and Suicide, unter: http://select.nytimes. com/2005/10/12/ opinion/12friedman.html?_r=1 (12. Oktober 2005).
9 Oliver ROY: Al-Qaeda in the West as a Youth Movement: The Power of a Narrative, in: Ethno-Religious Conflict in Europe. Typologies of Radicalisation in Europe’s Muslim Community, Brussels, 2009, S. 11-26, S. 12-15.
10 Vgl.: Jeff VICTOROFF: The Mind of the Terrorist. A Review and Critique of Psychological Approaches, in: Journal of Conflict Resolution, Vol. 49, No. 1, 2005, S. 3-42, S. 10.
11 Das widerspricht allerdings den Befunden deutscher Forschung. Vgl.: Britta BANNENBERG, Dieter RÖSSNER, Marc COESTER: Hasskriminalität, extremistische Kriminalität, politisch motivierte Kriminalität und ihre Prävention, in: Rudolf EGG (Hrsg.). Extremistische Kriminalität: Kriminologie und Prävention. Wiesbaden, 2006, S. 17-60.
12 Vgl.: Jeff VICTOROFF: Terrorist. A. a. O. S. 21-22.
13 Marwan ABOU-TAAM: Psychologie des Terrors – Gewalt als Identitätsmerkmal in der arabisch-islamischen Gesellschaft, DIAS-Kommentar, Nr. 35, 2005, S.6.
14 „[…] it‘s a group phenomenon. To search for individual characteristics […] will lead you to a dead end“, so Marc Sageman, zit. nach: Jeff VICTOROFF: Terrorist. A. a. O. S. 30.
15 Siehe: Anja DALGAARD-NIELSEN: Violent Radicalization in Europe: What We Know and What We Do Not Know, in: Studies in Conflict Terrorism, 2010, Volume: 33, Issue: 9, S. 797-814.
16 Siehe: Anja DALGAARD-NIELSEN: Studying Violent Radicalization In Europe II – The Potential Contribution of Socio-psychological and Psychological Approaches, Copenhagen, 2008.
17 Vgl.: Anja DALGAARD-NIELSEN: Violent Radicalization in Europe (2010). A. a. O.
18 Brooke ROGERS: The psychology of violent radicalisation. In: Andrew Silke (Hrsg.): The Psychology of Counter-Terrorism, London, 2011, S. 34-47, S. 38.
19 Carol DYER, Ryan E. MCCOY, Joel RODRIGUEZ, Donald N. van DUYN: Countering violent Islamic extremism: a community responsibility, in: FBI Law Enforcement Bulletin, Nr. 12, 2007, S. 3-9, S. 6.
20 Mitchell D. SILBER, Arvin BHATT: Radicalization in the West: The Homegrown Threat, New York, 2007.
21 Tomas PRECHT: Home grown terrorism and Islamist radicalisation in Europe. An assessment of the factors influencing violent Islamist extremism and suggestions for counter radicalisation measures, Kopenhagen, 2007.
22 Lineare Modelle beschreiben Radikalisierungsprozesse funktional, wobei Phasen und Abläufe erklären sollen, unter welchen Umständen Personen sich einer extremistischen Ideologie bzw. Gruppe annähern. Die deskriptive Komponente, d. h. Radikalisierung als Veränderung auf der emotionalen, kognitiven und Verhaltensebene, bleibt daher größtenteils im Verborgenen. Der TSB-Theoretiker Wiktorowicz erklärt demgegenüber den Übergang von der Sinnsuche zur islamistischen Weltanschauung anhand eines Vier-Phasen-Modells, das „kognitive Öffnung“, „religiöse Suche“, „Frameangleichung“ und „Sozialisation“ beschreibt. Zu den Stärken des Framing-Konzepts zählt sein holistischer Schwerpunkt. Zugleich bedarf es nach wie vor einer Erklärung dessen, welche Faktoren den Übergang von einer Radikalisierungsphase zur anderen auslösen. vgl.: Quintan WIKTOROWICZ: Radical Islam Rising: Muslim Extremism in the West, Lanham, 2005, S. 127.
23 Vgl.: Alan TRAVIS: MI5 report challenges views on terrorism in Britain, unter: http://www.guardian.co.uk/uk/2008/aug/20/uk- security.terrorism1 (20. August 2008); Alan Travis: The making of an extremist, unter: http://www.guardian.co.uk/uk/2008/ aug/20/uksecurity.terrorism (20. August 2008).
24 Randy BORUM: Understanding terrorist psychology, in: Andrew Silke (Hrsg.): The Psychology of Counter-Terrorism, London, 2011, S. 19-33, S. 27.
25 Vgl.: John HORGAN: Walking Away from Terrorism. Accounts of disengagement from radical and extremist movements, New York, 2009.
26 Das religiöse Narrativ unterscheidet laut einem Forscherteam den neo-salafistischen Dschihadismus von allen anderen Vertretern der „delinquenten Generation“; vgl.: Christian LEUPRECHT, Todd HATALEY, Sophia MOSKALENKO, Clark MCCAULEY: Narratives and Counter-Narratives for Global Jihad: Opinion vs. Action, in: National Coordinator for Counterterrorism (Hrsg.): Countering Violent Extremist Narratives, Den Haag, 2010, S. 57-70, S. 58. Das stimmt nur zum Teil. Denn der Bezugspunkt des dschihadistischen Salafismus ist nicht ausschließlich eine Glaubensvorstellung, sondern auch das personale Substrat der Religion und ihr „Ziel ist die Verteidigung der eigenen Glaubensgemeinschaft gegen einen äußeren Feind und zugleich deren grundlegende religiöse und soziale Erneuerung (unter Rückbezug auf die religiöse Tradition), wobei jeweils der eine oder andere Schwerpunkt stärker betont werden kann“, siehe: Stefan MALTHANER: Terroristische Bewegungen und ihre Bezugsgruppen. Anvisierte Sympathisanten und tatsächliche Unterstützer, in: Peter WALDMANN (Hrsg.): Determinanten des Terrorismus, Weilerswist, 2005, S. 85-138, S. 127.